Gedanken zu Beginn
der Fastenzeit 2018
Ich weiß nicht, ob Ihnen das mal
passiert ist, dass Sie beim Gemüsekauf einen Beutel frischer Orangen
oder auch Kartoffeln ergriffen haben, und auf einmal lief Ihnen die
Suppe an der Hand entlang, weil Sie die faule Frucht nicht gesehen
hatten, die sich unter all den anderen knackfrischen Teilen versteckt
hatte. In der ganzen Überfülle war das Faule aber nicht
zu sehen.
zu sehen.
Auch unseren Alltag erleben
wir in einer oft überbordenden Fülle von Situationen, zwischen
Anforderungen anderer und unseren eigenen Vorstellungen, zwischen
diesem und jenem, was wichtig ist, was sich drängend in den
Vordergrund schiebt... Jedes für sich genommen ist oft neutral oder
gar gut, sonst würden wir es ja nicht tun oder wollen. Innerhalb der
schieren Menge aber kann es den Atem rauben, übersehen werden und
gar anfangen auf unserer to-do-Liste zu faulen. Wenn wir dann
zugreifen, um es endlich zu erledigen, stellen wir fest, dass die
letzte Möglichkeit dazu bereits vor zwei Wochen verstrichen war. Wir
werden so immer mehr gelebt, statt selber zu leben.
Schlimmer noch ist aber, wenn zwischen
all dem was wir tun, wollen oder sollen, auch Dinge unter die Räder
kommen, die uns sehr wichtig sind. Wir wollten diese oder jene
Veranstaltung mit den Kindern wahrnehmen und dann kam doch wieder ein
dringender Termin dazwischen – und jetzt verlassen die Kinder auf
einmal schon wieder die Schule; dabei waren sie doch gerade dort
eingeschult worden. Wir wollten doch mal wieder die Eltern besuchen,
Freunde... Damit wir in all dem Getriebe nicht das Leben versäumen,
sind Zeiten des Innehaltens wichtig. Wenn wir in der Fastenzeit auf
Dinge oder Verhaltensweisen verzichten, die wir wie
selbstverständlich wahrnehmen, merken wir durch diese Abstinenz oft
erst unsere Abhängigkeit davon zu begreifen. Wenn wir in der Fülle
der Angebote weniger essen als wir eigentlich brauchen, dann schärft
das unseren Blick auf das, was wir wirklich brauchen. Durch Fasten
kommt unser „Gott“ auch stärker in den Blick.
Ist es in der Wellnessreligion der
„Körper“, die „Gesundheit“ oder das „Wohlergehen“, was
in den Focus kommt, oder der „Gehorsam“, der in einer anderen
Religion trainiert werden soll, immer schafft die Reduzierung Platz
für das Auge unseres Geistes. Wenn Christen fasten, kommt das in den
Blick, was Gott für uns vorhat – zumindest, wenn man es nicht
verkürzt, die soziale Dimension. Neben all dem Privaten, dem Sport,
dem Beruflichen, erscheint auf einmal das, was Gott mit den Geboten
bezweckt, eine Gemeinschaft, die von der gegenseitigen Zuwendung
(Fachchinesich: Gnade) lebt, die ihren Ursprung in Gottes liebender
Zuwendung zu uns hat. Aber wie soll man das angehen?
Meist nutzt ja der Böse in uns einen
Sprachfehler aus: wir können nicht „nein“ sagen zu Dingen und
Leuten, die wir eigentlich mögen, manchmal sogar überhaupt nicht.
Weil wir uns fragen Was sollen denn die Leute von uns denken
(Fachchinesisch: Menschenfurcht)? Und so bleiben wichtige
Dinge unter uns ungesagt, weil sie vielleicht unbequem oder nicht
nett (genug) erscheinen, und Anforderungen nehmen immer mehr zu, nur
weil wir nicht „nein“ sagen können. Die evangelische Kirche hat
ihre Fastenaktion „sieben Wochen ohne“ in diesem Jahr unter das
Motto gestellt: „Zeige dich! – 7 Wochen ohne kneifen.“
Versuchen wir doch mal sieben Wochen lang, das Nötige gleich zu tun.
Nicht zu kneifen. Nicht zu sagen: Mal sehen, wenn wir „Nein“
meinen. „Nein“ zu sagen zu dem vielen, weil meine eigenen
Prioritäten auch wirklich mal umgesetzt gehören – nicht total
(dann geschieht nämlich nix), aber ein wenig mehr.
Nach welchem Maßstab können wir das
angehen? Was ist wirklich wichtig? „Würdest du öfter über den
guten Tod nachdenken, wärest du nicht so oft Sklave eines schlechten
Lebens von ungewisser Länge. Erkenne, was vor dem Tod (d.i. über
den Tod hinaus) Bestand hat, dann findest du leicht den Weg zu gutem
Leben.“ (Thomas von Kempen, 1380-1471)
Thomas rät also, das Leben vom Tod her in den Blick zu nehmen. Am
Ende versöhnt mit Gott, sich und dem Nächsten sein (auch wenn er
zur Familie gehört). Am Ende sich für das Gemeinwohl eingesetzt zu
haben, da wo Gott mich hingestellt hat, in Familie, Beruf, Freizeit,
Kirche... und nach dem Maß, was Er mir ins Herz legt. Denn Gott will
und braucht keine Arbeitssklaven für Sein Reich. Er liebt es aber,
so viele wie möglich zu beteiligen, damit ihr Leben einen
Unterschied macht. (Das hängt mit der Erfahrung von Sinn in meinem
Leben zusammen.) Er ist großherzig und lädt uns ein, großherzig zu
sein.
Vielen Menschen
gelingt dieser Blick erst, wenn sie von einer schweren Krankheit
genesen, aufgerüttelt worden sind oder wenn sie wissen, dass der Tod
nahe ist. Aber warum eigentlich? Warum leben wir nicht schon heute
wesentlich? Lassen wir zuerst das Faule in unserem Leben fallen, aber
auch den schönen, aber meist superliquiden Ballast, damit wir nicht
das Wesentliche aus dem Blick oder gar dem Leben verlieren. Dieses
Gute geschieht aber nicht von allein. Ich muss es wollen und tun ( 5
Mose oder Deuteronomium 30,15f), täglich.
Aschermittwoch, 14.
Februar 2018
P. Adrian Kunert SJ
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