Mittwoch, 10. Februar 2016

Nur wer stirbt, bevor er stirbt, stirbt nicht, wenn er stirbt

Dieser paradoxe Satz von Abraham a Santa Clara, einem Wiener Barockprediger, macht einen Teil des Sinnes der Fastenzeit deutlich. Die Fastenzeit heißt eigentlich „vorösterliche Bußzeit“ und dauert 40 Tage. Wenn man sich einmal die Mühe macht nachzuzählen, entdeckt man, dass es ja 46 Tage bis Karsamstag sind. Das liegt daran, dass Sonntage, als kleine Osterfeiern, nicht zur Fastenzeit gezählt werden. „Fasten“zeit bezeichnet als Wort, einen Aspekt dessen, wie man sich vorbereitet.

Ursprünglich fastete man in der gesamten Fastenzeit. Das bestand vor allem in einer Enthaltung von Speise unter das nötige Maß (einmal sättigend am Tag und dann noch eine kleine Zwischenmahlzeit). Zusätzlich war und ist die Fastenzeit auch eine Abstinenzzeit, in der man sich bestimmter Speisen ganz enthielt – Fleisch zB. Heute gibt es in der (römisch-)katholischen Kirche nur noch zwei gebotene Fasten- und Abstinenztage: Aschermittwoch und Karfreitag.

Bis hierher war das nur eine äußere Beschreibung der vorösterlichen Bußzeit. Es geht aber nicht darum einfach nur Regeln einzuhalten, weil sie vorgeschrieben oder gar in Mode sind, oder sich durch Süßigkeitenverzicht zu kasteien bis die Familie den dadurch unausgeglichenen Vater nicht mehr ertragen kann.

Es geht darum, durch Abstinenz und/oder Fasten einen inneren und äußeren Freiraum zu gewinnen, durch den wir die Prioritäten in unserem Leben wieder einmal überprüfen können. Ist das, wofür ich mich abrackere das, was wirklich wichtig ist, oder nur das Dringende, das andere gerne von mir erledigt hätten, was mir aber eigentlich ziemlich egal sein könnte? Und: wie finde ich einen guten Maßstab, meine Prioritäten dahin gehend zu überprüfen?

Im ersten jüdischen Tempel (ca 950-600 v. Chr.) auf dem Tempelberg in Jerusalem gab es etwas ziemlich einmaliges. Denn dort stand nicht – wie in allen anderen Tempeln jener Zeit – das Kultbild irgend eines heidnischen Götzen, sondern die Bundeslade mit den Geboten vom Sinai. Und in diesen Gesetzen geht es im Kern um Gerechtigkeit, also biblisch verstanden: das rechte Verhältnis der Menschen zu Gott und untereinander, um wahrhaft gute Beziehungen also. Das, was vor dem Ewigen Bestand hat, weil es gut ist, bleibt mir auch in Ewigkeit angesichts der ewigen Glut seiner Liebe. Das was Stroh ist, weil es unwichtig oder sogar schlecht ist, verbrennt.

Menschen neigen aber oft dazu, einfach nur die Regeln zu erfüllen, weil man das leicht abhaken kann, und vergessen dabei, dass es ja eigentlich um die Beziehung geht. Dann entstehen veräußerlichte Kulte, die Tod bringen und Menschen einschnüren. Schon die Propheten hatten darauf hingewiesen, dass Gott lieber gerechtes, barmherziges Handeln von uns möchte, als den Verzicht auf Speisen und Tätigkeiten. Wie geht dieses Prioritäten wahrnehmen aber genau?

Im Mittelalter, wo die heutige Form des Aschermittwochsgottesdienstes um 1300 herum entstand, entstand auch eine Frömmigkeitsübung, die uns heute etwas fremd anmutet. Es war die „Gut Tod Betrachtung“: Wenn ich jetzt wüsste, dass ich in ein paar Stunden meinem Schöpfer gegenüber stehen werde, was würde ich noch tun wollen, bevor mein irdisches Leben zu Ende gegangen sein wird? Die heilige Gertrud, Patronin unseres Hauses, hat das in der Form gemacht, dass sie an jedem Freitag, ihr Testament geschrieben hat. Da sie als Ordensfrau nichts persönlich besaß, ging es dabei also vor allem und geistige Dinge und Prozesse. Was will ich, woran sich Leute an mich erinnern, dass ich reich war oder dass ich ein guter Mensch war; dass ich berühmt war oder dass ich sich meine Familie auf mich verlassen konnte; dass ich mir dieses oder jenes geleistet habe oder dass andere Menschen durch meine Barmherzigkeit leben konnten? Das ist der Sinn wenn die Asche auf’s Haupt gegeben wird mit dem alten Spruch: Mensch, bedenke dass Du Staub bist, und zum Staub kehrst Du zurück. Seit ein paar Jahrzehnten gibt es auch den Spruch: Bekehre Dich und glaube an das Evangelium! Ersteres spielt darauf an, dass der Mensch aus Erde entstanden ist und auch wieder dahin zurückkehrt, dass wir also vergänglich sind, außer – und darauf zielt der zweite Satz – wenn wir uns auf den guten Gott verlassen.

Hier sind wir auch wieder beim Spruch aus der Überschrift. Es geht darum, dass in unserem Leben alles stirbt, was es nicht wert ist, dafür sein Leben einzusetzen. Das „sich mit anderen Vergleichen“, das Gieren nach Geld, Ruhm, die maßlose Bedürfnisbefriedigung (Essen, Trinken, Sex…) und Ähnlichem. Und dass statt dessen in mir jetzt schon wachsen darf, was schon hier zu Gottes Ewigkeit gehört: Barmherzigkeit, Versöhnung, Mildtätigkeit, Liebe…

Diese „sieben Wochen ohne“ (evangelische Aktion), die in der orthodoxen Tradition auch als die Zeit der „glanzvollen Traurigkeit“ bezeichnet wird, möge Euch helfen, die wahren Beziehungen wieder recht in den Blick zu bekommen und zu ehren.
 
P. Adrian Kunert SJ

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen