Freitag, 19. November 2021

Hatte die heilige Elisabeth einen Vogel?

Mit vier Jahren wurde die Nichte der hl. Hedwig von Andechs/Schlesien aus ihrer Heimat Ungarn genommen, um am Hofe ihres künftigen Gatten erzogen zu werden, mit 14 verheiratet, drei Kinder, mit 19 Witwe nach einer kurzen glücklichen Ehe. Franziskaner, die nach Eisenach kamen, entflammten auch sie für das befreiende Armutsideal, dass sie schon bald mit dem Hof in Spannung bringen sollte. Solange ihr Mann, der Landesgraf lebte, hatte sie nichts zu befürchten. Aber kaum war der tot, wurde sie von ihrem Schwager samt ihren Kindern vertrieben. Ihr Onkel, der Bischof von Bamberg, wollte sie neu verheiraten; aber selbst den Kaiser lehnte sie ab, weil sie arm dem armen Christus dienen wollte. Der Papst wurde einschaltet, damit sie wenigstens ihr Witwenvermögen bekam. Auf dieses wollte sie eigentlich verzichten. Das wurde ihr aber verboten, darum stiftete sie damit ein Armenhospital (in Marburg) und arbeitete selber darin. Sie tat viele Arbeiten vor denen anderen ekelte. So sehr brannte sie für die Armen, dass sie entkräftet mit 24 Jahren starb. Vier Jahre später war sie "heilig" gesprochen worden. Das war vorher nur beim heiligen Franziskus schneller gegangen; die Mühlen der Kirche mahlen bekanntlich langsam. Hatte diese Heilige also einen Vogel? Von außen betrachtet wohl – ja. Was hätte sie noch alles erreichen können, wenn sie länger gelebt, sich ein bisschen mehr geschont hätte?

Aber solche Heilige kann man so nicht messen; denn sie tanzen nach einer Musik, die wir zwar theoretisch auch hören könnten, wenn uns nur nicht so sehr die Angst vor dem Verlust von Status, Besitz und Anerkennung anderer ausbremste. Der heiligen Mechthild von Helfta, Mitschwester unserer Krankenhauspatronin Gertrud, offenbarte Gott in einer Vision, was an Elisabeth so besonders war, dass sogar das Wunder geschah, dass die Mühlen der Kirche mal nicht langsam mahlten, und sie schon nach vier Jahren „heilig“ gesprochen war: „Es gehört sich für einen Boten, schnell zu sein. Elisabeth ist und war ein Bote, den ich zu den Frauen gesandt habe, die, ohne an ihr Seelenheil zu denken, auf den Burgen saßen, von der Unkeuschheit so tief durchdrungen und vom Hochmut ganz bedeckt und von der Eitelkeit so beständig umhüllt, dass sie von Rechts wegen für den Abgrund bestimmt gewesen wären. Elisabeths Vorbild sind viele edle Frauen gefolgt, so weit ihr Wille und ihre Kraft eben reichten.” (Das fließende Licht der Gottheit V, 34)

Und das ist, glaube ich, wirklich der Punkt. Wäre Elisabeth nicht in ihrer Zeit wie eine Supernova aufgestrahlt und verglüht, hätte sie eben nicht mehr erreichen können. Angespornt durch ihr Beispiel bahnte sich eben nun ein vielfältiger Strom der Nächstenliebe – diesmal von Frauen angetrieben – seine Bahn. Und da sind wir wieder bei der Frage von oben. „Hatte sie einen Vogel?“ Solange man sich der echten Liebe verweigert, solange wird man nicht verstehen, was sie getan hat und irritiert davor stehen bleiben. Wenn man sich aber von ihrem Beispiel entzündet der Liebe öffnet, die aus dem Herzen Gottes strömt, die auch Leiden und Treue umfasst und nicht nur ein romantischer Abklatsch ist, in Herzen, die nicht mehr angstvoll an Vergänglichem festhalten, dann beginnt man zu begreifen, warum diese Frau mit ihrem Leben und Sterben bis in unsere Zeit strahlt. Abgesehen von der Jungfrau und Gottesmutter Maria ist im deutschen Sprachraum wohl keine Frau zu Recht so verehrt und nachgeahmt worden wie sie.

Also gönnen wir uns auch so einen Vogel – aber den richtigen.
Und versuchen wir es nicht aus eigener Kraft - das endet nämlich im burn out.

P. Adrian Kunert SJ
zum Fest der heiligen Elisabeth
19.11.2021